Two Pillars

Wie werde ich Systems Engineer? – Interview mit Simon Hofmann von Belimo


Systems Engineering als interdisziplinärer Ansatz setzt sich immer mehr im Maschinen- und Anlagenbau durch. Systems Engineering bringt Transparenz in komplexe Zusammenhänge und stellt nicht nur eine spezifische Facette einer Aufgabe in den Mittelpunkt, sondern das Gesamtsystem. Die Anfänge von Systems Engineering liegen in den Mondlandungsprojekten – wobei es u.a. darum ging, Lösungen auf konkrete Anforderungen rückverfolgbar zu machen. In Projekten, in denen heute – mehr als 50 Jahre nach der ersten Mondlandung – Elektronik, Software und Mechanik aufeinandertreffen, wird ein klassischer, pen-and-paper-basierter Ansatz schnell zur Fehlerquelle. Deshalb setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass Softwareunterstützung elementar für die wirksame Umsetzung von Systems Engineering ist. Aber: Wie wird man überhaupt Systems Engineer?

Wir beginnen daher heute die Interviewreihe „Wir sind Systems Engineer“ und stellen darin interessante Lebensläufe vor. Den Anfang macht Simon Hofmann:

Simon Hofmann ist einer, der seit vielen Jahren Requirements Engineering und Systems Engineering in seiner Arbeit vorantreibt. Heute ist er Systems Engineer bei unserem Kunden Belimo – einem Unternehmen aus dem Bereich Haustechnik, Gebäudeautomation und HLK.

Im Interview skizziert Simon seinen persönlichen Werdegang bis zu seinem Eintritt bei Belimo. Sehr anschaulich beschreibt er, warum gutes Requirements Management und Systems Engineering die einzige Möglichkeit sind, in einem komplexen technischen Projekt den Überblick zu behalten. Gleichzeitig steht sein Werdegang exemplarisch für den Quereinstieg ins Systems Engineering – oder ist das vielleicht sogar der idealtypische Weg?

Vom Elektroingenieur zum Systems Engineer

Simon Hofmann Belimo Systems Engineer
Simon Hofmann, Systems Engineer bei Belimo AG.

Christian: Wie bist du zum Systems Engineering gekommen, Simon? Was ist dein Ausbildungshintergrund?

Simon Hofmann, Belimo AG:
Ich habe meine berufliche Laufbahn als Elektroingenieur gestartet. Meine erste Anstellung als Ingenieur war noch an der Fachhochschule. Da habe ich am Physikinstitut gearbeitet. Aufgrund privater Erfahrungen habe ich später eine Weiterbildung in Richtung Medizintechnik gemacht. Dadurch war ich dann schon mittendrin im Systems Engineering – habe das aber noch gar nicht so richtig bemerkt. Da war ich bei Bernafon, einen Hörgerätehersteller. Diese Firma war schon 2005 wirklich fortschrittlich im Systems Engineering. Da wurden sich damals schon Gedanken über Requirements, Architektur und Design gemacht, auf einem ganz anderen Level als damals üblich. Ich habe das aber leider auch nicht so mitbekommen, weil ich da noch im Elektronikteam war – Stovepipes halt trotzdem.

Ich bin dann aber immer mehr in Richtung Systemkonfiguration gewandert und habe immer mit spezifischen Aspekten des Systems Engineering zu tun gehabt, auch mal ein Testsystem entwickelt.

Danach habe ich in einer anderen Medizintechnikfirma als Systems Engineer gestartet. Erst da wurde mir bewusst, wie gut das Systems Engineering Framework aus Prozess-Methode-Tool bei Bernafon schon aufgesetzt war – ich konnte zwar von einigen Erfahrungen profitieren, aber beim Aufsetzen einer ersten SE-Werkzeugkette und der Verantwortung für verschiedene Aspekte von Systems Engineering war das Systems Engineering dann doch schon wie eine neue Welt für mich.

Christian: Inwiefern? Was meinst Du damit konkret?

Simon Hofmann, Belimo AG:
In meiner neuen Firma stand Systems Engineering, so wie wir es heute machen würden, noch in den Startlöchern. Requirements wurden häufig in einem Word Dokument geschrieben und dann wurde ein nächstes Word Dokument geschrieben, wo man nur noch die Änderungen reingeschrieben hat, und dann wieder ein nächstes. Eher ganz normal für die damalige Zeit – und ganz offen: Meist ja auch noch heute. Wenn man diese Aufgaben aber nicht modellbasiert mit einem Tool macht, ist das unmöglich.

Wir haben dann zunächst ein SysML-Werkzeug für das Requirements Engineering eingesetzt, also nicht nur für die Architektur. Das war schon ganz spannend, aber leider auch das falsche Tool für die richtige Aufgabe.

Es wurde recht schwierig: Wenn man ein neues Produkt auf Basis eines bereits existierenden Produkts anstoßen wollte, musste man bspw. immer alles kopieren. Das ist etwas, wo einem jeder mit ein bisschen Ahnung raten würde, dass man das nicht tut. Aber wir haben gut gelernt. Ich war zu dem Zeitpunkt also schwerpunktmäßig schon auf der Requirements-Engineering-Seite.

Etwas später suchte ich etwas Neues, und dann kam diese Stelle zum Aufsetzen der Methodik von Systems Engineering bei Belimo. Und so bin ich zu Belimo gekommen.

Christian: Wann war das? Und wie lief das dann ab?

Simon:

Das war vor ziemlich genau 3 Jahren, im April 2020. Anfänglich war das Thema Systems Engineering auch bei Belimo noch nicht etabliert. Es gab aber ein Projekt für die Einführung von Systems Engineering, in dem habe ich mitgearbeitet. Unser Projektleiter war damals Martin Oswald.

Wir waren damals kein fixes Team, vielmehr eine Stabsstelle. Alle anderen Leute in diesem Team waren Abteilungsleiter, die also neben ihrer eigentlichen anspruchsvollen Tätigkeit zwar die Bedeutung von Systems Engineering erkannt hatten, aber nicht so viele Ressourcen investieren konnten, wie sie es gewollt hatten. So konnten wir dann nicht die notwendige Breitenwirkung für das Systems Engineering erreichen.

simon hofmann belimo swissed
Simon Hofmann, Belimo, bei seinem Vortrag auf der SWISSED23 über Systems Engineering bei Belimo.

Wir haben immer viele gute Konzepte und Präsentationen erstellt, was wir jetzt neu gemacht haben – aber so in der Retrospektive mussten wir lernen, dass die Organisation damit nicht so zurechtgekommen ist. Wir haben irgendwo immer auf einer anderen Ebene gesprochen – das passiert schnell – und die meisten Leute sind in ihrem Arbeitsalltag mit ganz anderen Problemen konfrontiert. So konnte Systems Engineering nur bedingt fruchten.


Christian: Toll, dieser offene Einblick, davon kann man viel lernen. Es veranschaulicht auch sehr gut, dass Systems Engineering eine große Kommunikationsherausforderung ist – nicht nur der verschiedenen Systeme, sondern auch der Menschen in einem Unternehmen. War das bis dahin alles pen-and-paper-based Systems Engineering?


Simon:

Nein, war es nicht. Es war zum Anfang so ein Mischding. Weil die Softwareentwicklung schon damals Requirements in Jira geschrieben hat, haben wir das dann auch insgesamt etabliert: Jira für Requirements. Aber für das, was wir Systeme nennen, und auch für alles andere gab es eigentlich nicht wirklich Requirements. Da haben wir viel und erfolgreich Zeit und Hirnschmalz investiert – und wir werden jeden Tag besser. Und genau das ist es, was man beim Systems Engineering machen muss: Jeden Tag ein bisschen besser werden wollen und auch scheinbar widersprüchliche Dinge im Sinne des Gesamtsystems zusammenfahren. Auch wenn es scheinbar schneller geht, Requirements gehören nicht in ein Word-Dokument – denn tracebar werden sie nur in einem Softwaretool.

Das waren die Anfänge von Systems Engineering bei Belimo. Und so bin ich vom reinen Elektroingenieur über die Medizintechnik zum Systems Engineer geworden.

Christian: Vielen Dank, Simon! Das ist ein sehr spannender Werdegang, vor allem, weil ihr mit Belimo eine unglaubliche Systems Engineering-Geschichte schreibt, das sieht man auch von außen. Diese persönliche Entwicklung zeichnet sehr schön auch die Notwendigkeit von Systems Engineering in anderen Unternehmen nach: Vom kleinen Projekt ist es ja inzwischen eine richtige SE-Organisation geworden.

Wenn Du nun einmal zurückblickst: Was waren in Deinem Ausbildungsweg die entscheidenden Fähigkeiten für Deine heutige Tätigkeit – und war das eher durch das Studium gegeben oder ein „Learning on the Job“?

Simon Hofmann, Belimo, bei seinem Vortrag auf der SWISSED23 über Systems Engineering bei Belimo.
Simon Hofmann, Belimo, bei seinem Vortrag auf der SWISSED23 über Systems Engineering bei Belimo.

Simon:

Die Fähigkeiten, die für meine heutige Arbeit entscheidend sind, habe ich mir vor allem während der Arbeit angeeignet und das umfasst verschiedene Aspekte, wie die Projektleitung bei der Einführung von neuen MBSE-Themen und auf der anderen Seite die sehr konzeptionelle Arbeit mit gleichzeitig einer sehr konkreten Arbeit in unseren Requirements- und Architektur-Tools. Meiner Meinung nach lernt man im Studium eher Metathemen, wie sich Wissen zusammensuchen, abstrahieren, Dinge über Themengrenzen hinüber zusammenfügen.

Christian: Was würdest du jüngeren Leuten raten, die sich für Systems Engineering interessieren?

Simon:

Geh erst einem Job als Entwickler nach: Meiner Meinung nach ist es schwierig, SE von der Stange in einem Studium zu lernen. Ein wichtiger Aspekt von SE und der Transformation von Unternehmungen ist auch die Erfahrung, die man in verschiedenen Unternehmen sammelt und wie verschiedene Aspekte von Systems Engineering umgesetzt sind in einem Unternehmen. So würde ich vor allem raten, die Theorie und Methodik im Studium zu lernen und dann die Geduld zu haben, Erfahrung in einem Unternehmen zu sammeln.

Christian: Vielen Dank! Eine letzte Frage habe ich noch: Was sind deiner Einschätzung nach Zukunftsthemen im Systems Engineering und wie kann man da on-the-job mithalten?

Simon:

Ich habe das Gefühl, dass Zukunftsthemen häufig mit Automatisierung und auch KI zu tun haben, weil diese beiden Dinge die Effektivität von Systems Engineering steigern und auch schnell einen Mehrwert liefern können. Um on the Job am Ball zu bleiben, sind auch Toolhersteller in der Pflicht, diese Themen einzubauen und einfach zu erklären, wie Automatisierung und Scripting und auch AI in den Tools eingebaut sind.

Das Interview führte Christian Tschirner, Gründer und Geschäftsführer von Two Pillars GmbH.

Die Belimo AG ist Weltmarktführer in Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Feldgeräten zur energieeffizienten Regelung von Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen. Das 1975 gegründete Unternehmen beschäftigt in über 80 Ländern circa 2200 Mitarbeitende.
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